Entspannung für schwerhörige Menschen

Schnecke an einer Baumrinde
Entdeckung der Langsamkeit

Regelmäßig für Entspannung zu sorgen, ist für schwerhörige Menschen enorm wichtig. Mit Techniken zur Stressbewältigung und Achtsamkeit, aber auch mit anderen persönlichen Ressourcen kommt mehr Balance ins Leben.

Leben mit dem alltäglichen Hör-Stress

Schwerhörigkeit ist wirklich „schwer“. Es ist nämlich anstrengend, weniger zu hören oder anders zu hören als Guthörende. Da ist zum einen die Leistung des Gehirns, aus einem reduzierten Angebot an Klängen und Frequenzen ein sinnvolles Ganzes zu machen, „Verstehen“ zu versuchen.

Dazu kommt die körperliche Anspannung, weil die Ohren weniger Geräusche transportieren, die sogenannte „Hab-Acht-Stellung“. Sie drückt das angespannte Lauern auf jegliche verwertbare Wahrnehmung aus. Sie ist eine natürliche Reaktion, die Menschen vor Gefahren schützen kann.

Und mitunter kann es auch auf die Psyche schlagen, wenn man als Spaßbremse auf die eigene Schwerhörigkeit hinweisen muss („Könntet ihr bitte…? Ihr wisst doch, dass…“), wenn z.B. Kollegen und Kolleginnen mal wieder durcheinander reden oder wenn selbst die Familie vergisst, dass man bei Besteckgeklapper am Tisch nichts verstehen kann.

Der Zusammenhang von Schwerhörigkeit und „Hör-Stress“ wurde im Vortrag von Dr. Zeh 2013 in Schriesheim angesprochen und kann unter folgendem Link aufgefrischt werden: Präsentation Barrierefreiheit für schwerhörige Menschen, Schriesheim 2013 (PDF). Für Menschen, die ständig schlecht hören, besteht die Tendenz, dass die Hab-Acht-Stellung zum dauerhaften Begleiter wird:

  • ständiges Horchen, um ja nichts zu verpassen;
  • ständige Angst, bei einem Fehler oder Missverständnis erwischt zu werden;
  • Scham bei Entdeckung.

Betroffene und ihre Angehörigen sollten diesen Zusammenhang kennen. Damit sie verstehen, dass ihr Stresspegel schon durch die Hörbehinderung angehoben wird. Kommen dazu noch Stress bei der Arbeit oder im Privatleben und zusätzliche Schlafprobleme, kann die innere Balance in eine übermäßige Schieflage geraten. Bei dauerhaft hohem Stresslevel wird sogar die Erholung im Schlaf oft nicht mehr erreicht, es droht der Burnout.

Für jeden schwerhörigen Menschen sind daher Strategien zum Ausgleich und zur Stressbewältigung wichtig: regelmäßige Pausen und Freizeit, Hobbys, Sport, Entspannungstechniken.

Wirksame Entspannungstechniken

Für die innere Balance spielt eine Rolle, wie gut wir umschalten können z. B. von der Arbeit zu Freizeit und Privatleben – und wie gut wir herunterschalten können und auch mal den Leerlauf genießen. Entspannungstechniken dienen dazu, regelmäßig Körper und Geist zu trainieren, um aus Stresszuständen leichter wieder in die Mitte zu kommen. Das wäre ein Gegenpol zu der ständigen Anspannung z. B. bei der Arbeit oder sonstigen hohen Kommunikationsbelastungen. Wer sich keinen Ausgleich schafft, kommt irgendwann nicht mehr raus aus dem hohen Stresspegel und kann irgendwann auch nicht mehr gesund und erholsam schlafen.

Jeder und jede hat Möglichkeiten zur Balance, ganz nach eigenen Vorlieben. Wir stellen hier einige Entspannungsmethoden vor, die auch in vielen Volkshochschulen angeboten werden:

  • Progressive Muskelentspannung nach Jakobsen
    Die Progressive Muskelrelaxation, kurz PMR dauert etwa 20 – 30 Minuten. Sie entspannt in einem Durchgang den ganzen Körper.  Muskelgruppenweise soll man jeweils 7 Sekunden anspannen, dann 30 Sekunden entspannen – also z. B. erst die linke Faust ballen, 7 Sekunden anspannen, dann 30 Sekunden entspannen, dann die rechte Faust anspannen und entspannen, dann die Arme, Schultern, Gesichtsmuskulatur, über den Rücken nach unten zu Bauch, Beinen und Füßen. Es gibt viele Anleitungen und Varianten im Internet: z. B. auf folgender Seite von „Zeitblüten“: http://www.zeitblueten.com/news/stressabbau-progressiven-muskelentspannung-jacobson/ – eine gesprochene Anleitung zu PMR kann man sich bei der Schmerzakademie Berlin herunterladen.
  • Qigong
    Qigong wird Tschi Gung ausgesprochen. Es umfasst Bewegungs- und Ruheübungen aus der chinesischen Medizin. Diese lenken die Aufmerksamkeit mit weich-fließenden Bewegungen, die mehrmals wiederholt werden, auf den Körper und die Körpermitte. Es gibt verschiedene Stile, die mal sportlicher, mal meditativer umgesetzt werden. Darüber sollte man sich vorher informieren. Qigong wird u. a. in Reha-Einrichtungen und in Volkshochschulen angeboten. Es gibt auch viele Videos im Internet – für einen ersten Eindruck ist vielleicht das folgende mit integrierten Untertiteln geeignet https://www.youtube.com/watch?v=s6rTv5KdfOQ – und in folgendem Video wird auch etwas mehr erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=QqRQ26E7KWE
  • Achtsamkeit
    Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion oder auf englisch mindfulness based stress reduction (MBSR) hat mehrere Bestandteile wie Yoga, Körperbewusstsein (BodyScan), Meditation, achtsames Gehen, achtsames Essen/Trinken. Der Sinn ist, dass die Achtsamkeit im Alltag dauerhaft ihren Platz findet. MBSR wird meist in einem achtwöchigen Kurs vermittelt für einen langfristigen Effekt. Bei regelmäßiger Übung gelingt es Menschen immer besser, sich z. B. in der Meditation auf die Atmung zu konzentrieren oder auf den Moment einzulassen und wahrzunehmen, was ist – ohne Bewertung. Link zu einem Wikipedia-Artikel zu Achtsamkeit, Link zum MBSR-Verband in Deutschland mit Adressen von Lehrern.
  • Schlafhygiene
    Für den guten Schlaf sorgen die richtige Ernährung, abendliche Rituale, eine passende Lebensführung, gut zusammengefasst ist dies z. B. im Buch „Die kleine Schlafschule“ von Jürgen Zulley. Etwas knapper wird dies auf verschiedenen Internetseiten beschrieben u. a. auch hier: http://karrierebibel.de/schlaflos-besser-schlafen/
  • Bewusstsein dafür, was man selbst für sich tun kann
    Freunde und Familie, Hobbys, Yoga, 5 Tibeter, Sport, Sauna, Wandern, Spazieren, Gärtnern, Kochen, Malen, Trommeln, Singen usw.  Jeder Mensch hat etwas, das ihm wichtig ist und ihm gut tut. Damit kann man regelmäßig für Ausgleich vom alltäglichen Hör-Stress sorgen. Wenn der Körper lernt, sich auf die Entspannung einzulassen, kommt er mit jedem Mal leichter vom Stress zurück in die ruhige Mitte. Am besten mindestens dreimal die Woche Zeit nehmen für Aktivitäten, die Freude machen.

Akzeptanz der Schwerhörigkeit

Wer technische Hilfsmittel wie Hörgeräte, FM-Anlage, Lichtsignalanlagen (Lichtwecker, Türsignale) nutzt, unternimmt einen ersten Schritt dahin, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Die Akzeptanz der Schwerhörigkeit bedeutet aber auch, insgesamt liebevoll mit sich umzugehen und für sich selbst zu sorgen. Mittels Kommunikationstaktik sorgt man für ein besseres Hören und Verstehen. Und man akzeptiert aber auch, wenn es einem zuviel wird und gönnt sich z. B. eine Gesprächspause.

Einen Ansatz, um sich vom Korsett des „Alles-verstehen-müssens“ zu befreien, bietet die „Kommunikationsbrücke“. Sie ist ein Kommunikationsmodell für schwerhörige Menschen mit Hinweisen zu Hörtaktik, Verstecktaktik, Kommunikationstaktik. Sie wird in einem Seminar oder einer Reha für Hörbehinderte vermittelt. Eine kurze Erklärung findet sich auf folgender Webseite: http://www.hoerbehindertenselbsthilfe.de/index.php/hoerenundverstehen/kommunikationsbruecke.

Detaillierte Informationen zu diesem Konzept findet man auf der Seite von Jochen Müller, selbst Betroffener und ehemaliger Sozialpädagoge in der Reha Bad Grönenbach, der das Kommunikationsmodell entworfen hat: www.kommunikationsbrücke.de