Workshop Hör- und Kommunikationstaktik

Veranstaltungsbericht / März 2015

Welche Hör-Situationen bereiten schwerhörigen Menschen Stress und führen zu Hör-Stress? Und was kann zur Lösung der Probleme führen? Welche Taktiken unterstützen die Kommunikation mit guthörenden Menschen? Auf diese und ähnliche Fragen suchte die SHG in einem Workshop zur „Hör- und Kommunikationstaktik“ Antworten. Der Workshop fand am Wochenende 28./29. März 2015 im Heidelberger Heinz-Micol-Zentrum statt und wurde von der IKK Classic im Wege der Projektförderung unterstützt. Referentin Erika Classen führte die neun Teilnehmer durch das Thema.

Workshop-Teilnehmende als Gruppe vor dem Eingang des Heinz-Micol-Zentrums Heidelberg
Teilnehmende am Kommunikationsworkshop mit Erika Classen (vorne links) vor dem Eingang des Heinz-Micol-Zentrums Heidelberg

Ziel des Workshops war es, gemeinsam Strategien im Umgang mit der Hörbehinderung und ihren Folgen zu erarbeiten, um künftig Gesprächssituationen mit mehr Selbstvertrauen zu gestalten. Zu Beginn konnte jede/r Teilnehmer/in die eigenen wichtigsten Probleme mit der Schwerhörigkeit aufschreiben. Damit wurden Situationen deutlich, in denen schwerhörige Menschen an ihre Grenzen kommen wie z. B.

  • wenn sich mehrere Personen unterhalten, sei es mit Kollegen oder im Freundeskreis,
  • oder wenn Dialekte, Genuschel oder zu leises Sprechen, am besten noch in Kombination mit Störgeräuschen z. B. in einem Lokal oder einer vielbefahrenen Straße, das Verstehen erschweren
  • und man anfängt solche Situationen zu vermeiden
  • und dass es Hemmungen gibt, immer wieder von Neuem an die eigenen Bedürfnisse zu erinnern oder
  • immer wieder dadurch aufzufallen, dass man um Wiederholung bittet.

Auf dieser Basis baute Referentin Erika Classen ihr Seminarkonzept für das Wochenende auf. Sie ist langjährige Referentin in der Hörbehindertenselbsthilfe (DHS) sowie bei der Tinnitusliga (DTL). Selbst seit 1965 schwerhörig und heute beidseitig mit CI versorgt, hat Classen eine Fülle an Erfahrungen als „Schlappohr“ gesammelt, an denen sie uns teilhaben ließ. Nicht zuletzt trugen ihre oft humorvoll erzählten Anekdoten mit zur Erkenntnis bei, dass viele schwerhörige Menschen ähnliche Erlebnisse haben und ihre Behinderung mit ähnlichen Gefühlen durchleben. Gerade deshalb sei der Austausch z. B. in einer SHG, aber auch in einer Spezialreha für Hörgeschädigte so wichtig. Darüber hinaus beleuchtete die Referentin Grundzüge der Kommunikationstaktik mit der „Kommunikationsbrücke“, einem Konzept von Jochen Müller, das die Arbeit an einer funktionierenden Kommunikation gleichmäßig auf die Schultern von Guthörenden und Schwerhörigen verteilt.

Da das Heinz-Micol-Zentrum mit einer Ringschleife und einem Beschallungssystem ausgestattet ist, konnten die (meisten) Teilnehmer dem Seminar gut folgen. Es zeigte sich einmal mehr, dass das induktive Hören viele Vorteile für schwerhörige Menschen bringt und dass es unverständlich ist, wenn Akustiker Induktionsspulen in Hörgeräten nicht aktivieren und die Technik als „veraltet“ darstellen.

Auch Technikfragen wurden im Seminar angesprochen und die Notwendigkeit von Audiotherapie. Doch noch mehr ging es darum, sich eigene Fähigkeiten bewusst zu machen. Dass man nicht nur auf das angewiesen sei, was man höre, sondern dass zum Verstehen auch weitere Sinne eingesetzt werden können.

Sinnes-Stationen für Riechen, Schmecken, Tasten am Workshop
Die verschiedenen Sinne lassen sich trainieren

Dazu baute die Referentin einige Sinnesstationen auf, wo die Seminarteilnehmer bewusst Düfte erschnuppern, Gegenstände erfühlen konnten sowie optische Rätsel lösen und ihren Geschmackssinn testen durften. Des weiteren hatte sie ein Geräusche-Memory dabei, das zum bewussten Hinhören einlud.

Viele schwerhörige Menschen wissen, dass sie automatisch besser verstehen, wenn sie das Gesicht mit Mimik und Mundbild des Sprechers sehen können. Dennoch sei es falsch, das Wort „Lippenlesen“ zu verwenden, erklärte die Referentin. „Lesen“ suggeriere, dass Wörter abgelesen würden wie aus einem Buch. Dies sei aber nicht so, da sich nur etwa 15 Prozent der Laute im Deutschen am Mundbild erkennen ließen – und das auch nur von geübten Personen. Viele unterschiedliche Laute haben dagegen ein ähnliches Mundbild. So können Schwerhörige zwar das Mundbild nutzen, müssten aber dennoch ein hohes Maß an Konzentration aufwenden und Inhalte aus dem Kontext heraus kombinieren.

Eine Äußerung von Erika Classen blieb besonders gut in Erinnerung, als Ermunterung, die eigene Behinderung zu akzeptieren und sich vom Stress zu verabschieden: „Wir können nichts dafür, dass wir schwerhörig sind. Das haben wir uns nicht bestellt.“

Wir sind allen Beteiligten dankbar dafür, dass dieser Workshop stattfinden konnte. Wir hoffen, dass wir bald wieder Gelegenheit haben, Veranstaltung zu organisieren, in der wir uns noch tiefer mit dem vielschichtigen Thema Kommunikation befassen können.