Für jeden Menschen ist es ein großer Schritt, sich über den eigenen Hörverlust klar zu werden. Erst dann kann es darum gehen, das geeignete Hörgerät zu finden, und damit die Auswirkungen der Schwerhörigkeit zu mildern. Hier haben wir unsere Tipps zur Hörgeräteversorgung zusammengefasst.
Wissenswertes zur ersten Hörgeräteversorgung für gesetzlich Versicherte
Bitte beachten Sie: Diese Angaben entsprechen den Erfahrungen, die wir als Betroffene im Laufe von Jahren und Jahrzehnten gemacht haben. Zusätzlich wurden die unten genannten Quellen genutzt. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und rechtliche Aktualität.
1. Hals-Nasen-Ohren-Praxis (HNO):
Gehen Sie zunächst in eine HNO-Arztpraxis. Dort wird der Hörverlust gemessen. Sie erhalten ein Ton- und Sprach-Audiogramm und eine Verordnung für ein bzw. zwei Hörgeräte. In der Regel sollten beide Ohren gut hören können. Lassen Sie sich Ihre Hörkurve vom HNO-Arzt oder vom Akustiker erklären.
2. Hörakustikfachgeschäft:
Machen Sie einen unverbindlichen Besuch bei Hörgeräteakustik-Fachgeschäften in Ihrer Nähe. Vertrauen Sie Ihrem Instinkt und wählen Sie dann das Geschäft aus, das Ihnen für die Hörgeräteanpassung zusagt. Die Verordnung können Sie zum ersten Termin mitbringen oder aber auch erst später bzw. auf Aufforderung.
Wichtig zu wissen: Sie können den Akustiker jederzeit wechseln. Das gilt während der Anpassungsphase und auch später, wenn Sie bereits ein Gerät von einem Akustiker erworben haben.
3. Aufzahlungsfreie Geräte:
Die Krankenkassen haben im November 2013 folgende Festbeträge für Hörgeräte festgelegt: 733,59 € für ein Hörgerät. Bei beidohriger Versorgung werden von diesem Betrag 146,72 € für das zweite Hörgerät abgezogen (Abschlag). Allerdings schließen einzelne Krankenkasse auch eigene Verträge mit den Akustikerverbänden, die Beträge, die übernommen werden, können dabei unterschiedlich hoch sein. Teilen Sie dem Akustiker oder der Akustikerin mit, dass Sie zuzahlungsfreie Hörgeräte möchten.
4. Abdruck vom Gehörgang:
Je nach Hörverlust kann es sein, dass der Akustiker beim ersten Termin einen Abdruck von Ihrem Gehörgang macht. Dies ist nötig, um eine Otoplastik herzustellen, die oft für starke bis hochgradige Schwerhörigkeiten eingesetzt wird. Außerdem ist ein individueller Abdruck nötig für Hörgeräte, die im Ohr sitzen (IdO-Geräte). Bei einer offenen Hörgeräteversorgung kommen kleinere Schläuche und Schirmchen zum Einsatz, hier ist ein Abdruck gegebenenfalls verzichtbar.
5. Hörgeräte testen und anpassen lassen:
Testweise können Sie Hörgeräte für ein paar Tage nach Hause mitnehmen, um sie im Alltag auszuprobieren. Schreiben Sie sich auf, was bei diesen Geräten gut funktioniert, wann Sie weniger gut verstehen, was unangenehm klingt und Ihnen sonst so auffällt. Schreiben Sie sich auch auf, für welche Situation Sie sich eine Verbesserung wünschen. Oder wie gut oder schlecht das Ein- und Ausschalten, das Wechseln von Programmen sowie der Austausch von Batterien funktionieren.
Ihre persönliche Rückmeldung ist sehr wichtig für die Akustiker bzw. die Feinanpassung der Geräte. Vielleicht wird Ihnen vorgeschlagen, ein anderes Hörgerät zu testen. Bringen Sie am besten Ihre Notizen mit, damit Sie nichts vergessen. Nach der Neueinstellung können Sie erneut das Gerät testen. Sie können zwei oder drei Geräte zu Hause testen, oft auch mehr. Jede Anpassung ist individuell, weil auch jeder Hörverlust individuell ist. Manchmal ist schon das erste Gerät das richtige.
6. Training und Gewöhnungseffekte:
Bitte bedenken Sie, dass Sie lange Zeit viele Klänge nicht gehört haben. Das Hören mit Hörgerät klingt am Anfang vielleicht noch laut oder ungewohnt. Doch Ihr Gehirn ist lernfähig, nach einer gewissen Zeit des Hörgeräte-Tragens stellt es sich wieder darauf ein, wie die Welt klingt. Manche Akustiker bieten hierfür ein individuelles Hörtraining an. Ein Hörtraining kann für Sie ein guter Einstieg sein, sich an den neuen Klang von Sprache und allem anderen, was Geräusche macht, zu gewöhnen.
7. Gesetzliche Zuzahlung:
Wenn Sie schließlich ein zuzahlungsfreies Gerät gefunden haben, müssen Sie nichts weiter tun. Der Hörgeräteakustiker übernimmt den Antrag für die Abrechnung mit der Krankenkasse. Sie müssen nur den Erhalt des Geräts bestätigen und die gesetzliche Zuzahlung von 10 Euro pro Gerät leisten.
8. Teurere Hörgeräte und Kostenübernahme:
Wenn Sie nicht zufrieden sind, testen Sie Hörgeräte, die teurer als der Krankenkassen-Festbetrag sind. Häufig verlangen Akustiker dann die Unterzeichnung einer sogenannten „Mehrkostenerklärung“, wenn Kunden Geräte auswählen, die den Festbetrag der Krankenkassen übersteigen. Das ausgefüllte und unterschriebene Formular müssen Akustiker wohl dem Antrag an die Krankenkasse beifügen. Es ist allerdings unklar, ob diese Mehrkostenerklärung nicht sittenwidrig ist, siehe unten die Links zum Sozialverband VdK und Deutschen Schwerhörigenbund. Die beiden Verbände empfehlen, in der Mehrkostenerklärung einen Punkt „Sonstiges“ anzukreuzen und anerkannte Gründe zu nennen wie z. B. das Sprachverstehen in Menschengruppen, das Verstehen bei Störgeräuschen oder in großen Räumen.
Natürlich können für Sie persönlich auch weitere Gründe individuell wichtig sein, z. B. Aussehen und Komfort. Wenn diese Gründe für Sie ausschlaggebend sind, dann müssen Sie die Mehrkosten allerdings auch selbst zahlen. Die Krankenkassenleistungen betreffen den Ausgleich der Hör-Behinderung bzw. der Behinderungsfolgen.
Wenn Sie Hörgeräte gefunden haben, die Ihren Hörverlust gut ausgleichen und die teurer sind, als der Festbetrag, stellen Sie am besten selbst einen formlosen Antrag auf volle Kostenübernahme bei Ihrer Krankenkasse. Darin beschreiben Sie, warum die zuzahlungsfreien Geräte in Ihrem Einzelfall nicht ausreichen, um Ihren Hörverlust auszugleichen und welche Gebrauchsvorteile für Sie die teureren Geräte haben. Wichtige Gründe, die im individuellen Einzelfall akzeptiert werden, sind wie oben genannt das bessere Sprachverstehen in Menschengruppen, bei Störgeräuschen oder in großen Räumen. Näheres zu solchen Anträgen und zu Widersprüchen im Falle der Ablehnung beschreiben u. a. der Sozialverband VdK und der Deutsche Schwerhörigenbund (siehe die Links unten).
Über die technische Ausstattung von Hörgeräten
Sie haben Anspruch auf eine Versorgung mit Hörhilfen, die Ihren Hörverlust ausgleichen und die Sie selbst im Alltag gut handhaben können. Das ist nicht immer der Fall. Manche Betroffene erhalten leider Geräte, die so klein sind, dass sie diese nicht bedienen können.
Die Größe des Hörgeräts ist nicht ausschlaggebend, sondern wie gut Sie damit verstehen und wie gut Sie selbst die Technik bedienen können.
Die Geräte sollten auch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, das heißt unter anderem:
- Digitaltechnik
- Mehrkanaligkeit (mindestens 4 Kanäle)
- Rückkopplungs- und Störschallunterdrückung, Rückkopplung meint das Pfeifen von Hörgeräten, Störschall meint z. B. künstliche Geräusche von Autos und Haushaltsgeräten
- Mindestens 3 Hörprogramme z. B. für Musik oder für das Hören über Telefonspule
- Ausreichende Verstärkungsleistung für den aktuellen Hörverlust und Spielraum für weitere Anpassungen im Versorgungszeitraum von 5 bis 6 Jahren.
- Die Telefonspule sollte in keinem Hörgerät fehlen. Damit können Sie induktive Höranlagen im öffentlichen Raum nutzen wie z. B. in Kirchen und Theatern und ggf. in manchen Vortragssälen (z.B. VHS). Sie ist wichtig für Ihre Inklusion. Sie können per Telefonspule auch TV, Radio sowie mobile Funkanlagen (Museumsführung u. a.) mit einer Induktionsschleife (auch T-Schlinge genannt) nutzen. Bitten Sie den Akustiker/die Akustikerin die T-Spule bzw. das Telefonprogramm zu aktivieren und lassen Sie sich die Nutzungsmöglichkeiten erklären. (Lassen Sie sich nicht einreden, dass diese Technik veraltet sei!)
- Lautstärkeregelung manuell und/oder automatisch: Durch Digitaltechnik und Mehrkanaltechnik passt sich die Lautstärke des Hörgeräts automatisch an verschiedene Hörsituationen an. Bei manchen Geräten können Sie zusätzlich per Hand mit einem Kippschalter 3 bis 4 Stufen lauter bzw. leiser nachregeln. Probieren Sie auch solche Geräte aus.
- Erweiterungsmöglichkeiten wie z.B. FM-Anlagen: Viele moderne Hörgeräte ermöglichen eine Anbindung an TV, Smartphone und andere Geräte via Bluetooth, als kabelloses Streaming. Des weiteren gibt es die Möglichkeit via FM-Anlagen, Funksignale direkt an das Hörgerät zu senden. Es gibt verschiedene FM-Syteme. Der Sinn dieser kabellosen Übertragung liegt darin, dass das Verstehen immer dann schwierig ist, wenn jemand weiter entfernt ist. Z.B. ein Redner auf einer Versammlung, die Lehrerin im Unterricht oder das Gespräch bei Behörden oder mit dem Arzt. Der Vorteil von FM-Anlagen ist, dass die Töne direkt und ohne Nebengeräusche an das Hörgerät gesendet werden und damit ein besseres Verstehen erzielt wird. Die Kostenübernahme bei Trägern wie Krankenkasse oder Rentenversicherung klappt nicht immer bzw. oft erst nach Widerspruch.
- Thema Hörgerätebatterien nicht vergessen: Je nach Bauform und Größe Ihres Geräts gibt es unterschiedliche Hörgerätebatterien. Je nach Art und Typ der Batterie halten diese für 5 bis 8 Tage, manchmal auch länger. Das ist abhängig von Ihren Trage- und Nutzungsgewohnheiten. Für bestimmte Anwendungen z. B. für das induktive Hören (T-Spule) und das Hören mit Bluetooth werden die Batterien stärker beansprucht. Hörgerätebatterien müssen erwachsene Versicherte selbst zahlen.
Persönliches Klang-Empfinden bei Hörgeräten:
Damit Sie sich mit Ihrem Hörgerät anfreunden, sollten Sie nicht nur die Technik und das Verstehen beachten, sondern auch den Klang. Der Klang unterscheidet sich von Marke zu Marke bei Hörgeräten. Und jeder Mensch ist verschieden. Auch Sie haben Ihre eigenen Klang-Vorlieben. Hilfreich können folgende Fragen während der Testphase in verschiedenen Hör-Situationen sein:
- Mögen Sie den Klang Ihrer eigenen Stimme?
- Ist der Ton klar, sauber, scharf?
- Ist der Ton zu dünn?
- Haben Sie das Gefühl, dass das Hörgerät ihr Ohr verstopft und Töne dumpfer klingen?
- Werden angenehme leise Geräusche für Sie hörbar?
- Sind laute Geräusche unangenehm?
- Klingen Stimmen und Geräusche mit Hörgeräten natürlich?
- Hört sich Musik angenehm und klangreich an?
- Klingt die Welt so als säßen Sie in einem Fass?
- Pfeift das Hörgerät manchmal von selbst, piepst oder brummt es?
Quellen zum Thema Hörgeräteversorgung:
- Bitte beachten Sie unseren Artikel Höhere Festbeträge für die Hörgeräteversorgung (2013)
- Der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB) bietet umfangreiches Material zum Thema Hörgeräteversorgung sowie Tipps zur Kostenübernahme: http://www.schwerhoerigen-netz.de/HOERGERAETEVERSORGUNG
- Der Sozialverband VdK hat ein Merkblatt zur Hörgeräteversorgung herausgegeben, ebenfalls mit Musterbriefen: http://www.vdk.de/deutschland/pages/themen/behinderung/28650/merkblatt_fuer_hoergeschaedigte
- Hörkomm.de bietet vielfältige Informationen für die hörgerechte Arbeitsplatzgestaltung, dazu auch die Handreichung Schritt für Schritt zum Hörgerät:
- Wikipedia-Artikel zu Hörgeräten: https://de.wikipedia.org/wiki/Hörgerät
- Der Blog Hörgerätetest.de des Hörgeräteakustikermeisters Dr.-Ing. Roland Timmel bietet Fachinformationen zur Hörgerätetechnik und praktische Tipps zur Auswahl von Hörgeräten: http://www.hoergeraetetest.de/
- Hearingpedia vom Better Hearing Institute, Washington bietet ebenfalls interessante Tipps zum Finden des richtigen Hörgeräts: http://www.betterhearing.org/hearingpedia/hearing-aids/what-best-hearing-aid-you
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